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Mythen der Migration 3

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| Stefan Groenebaum | Medien

Im dritten Kapitel seines Bestsellers: „Migration. 22 populäre Mythen und was wirklich dahintersteckt“ untersucht der renommierte Migrationsforscher Hein de Haas „Mythos 3: Die Welt steht vor der Flüchtlingskrise“.

Im ersten Kapitel hatte De Haas belegt, dass die Flüchtlingszahlen keineswegs exorbitant oder überproportional ansteigen, im zweiten Kapitel, dass die große Mehrheit der Zuwander*innen legal einwandert und unsere Grenzen daher keineswegs unsicher geworden sind.

Im 3. Kapitel beschreibt De Haas die – häufig von Medien und Politik als Schreckgespenst und unter Absehung von analytisch begründeten Argumenten an die Wand gemalte – „Flüchtlingskrise“ nüchtern und konkret: „Der Teufelskreis aus Gewalt und Konflikt scheint nicht enden zu wollen, und die Situation der Flüchtenden, die über die Grenzen drängen, ist immer hoffnungsloser. Internationale Organisationen bestätigen, dass wir uns einer Flüchtlingskrise gegenübersehen“ (S. 64).

Gleichzeitig behaupteten Politiker, die meisten Asylsuchenden seien keine Flüchtlinge, sondern „nur Wirtschaftsmigranten, die sich als Geflüchtete ausgeben. Somit entsteht der Eindruck, eine explodierende Zahl von Bewerbern bringe das westliche Asylsystem an den Rand des Zusammenbruchs“ (S. 65); dies dient vor allem dazu, das Abschiebeverbot der Genfer Flüchtlingskonvention von 1950, „das Herzstück des modernen Flüchtlingswesens“ (ebenda) zu attackieren.

Seit 1989 behaupten Politiker, dieses System werde den gewachsenen Herausforderungen nicht mehr gerecht; gerade erst (am 23.05.2025) wurde ein Brief mehrerer Regierungen europäischer Staaten bekannt, der auf der Basis dieser These die Rechtsprechung europäischer Gerichtshöfe in Frage stellte. „Allmählich wird es zum politischen Konsens, dass uns keine Wahl bleibe, als erstens eine „harte, aber faire“ Asylpolitik durchzusetzen, … zweitens Scheinasylanten abzuschrecken, indem man sie in die Transitstaaten zurückschickt oder während der Bearbeitung der Anträge in sichere Drittstaaten abschiebt, und drittens regionale Lösungen zu suchen“ (S. 66), wie es die EU versucht.

Laut De Haas basiert „Die Vorstellung, dass sich der Westen einer beispiellosen… Flüchtlingskrise gegenübersieht, … auf drei Annahmen: Erstens: Die Flüchtlingszahlen haben ein Rekordniveau erreicht. Zweitens:  Die Zahl der Geflüchteten, die in den Westen kommen, nimmt in atemberaubendem Tempo zu. Und drittens: bei einem immer größer werdenden Teil der Asylsuchenden handelt es sich in Wirklichkeit um „Wirtschaftsflüchtlinge“ („Scheinasylanten“). Die Fakten sagen jedoch in allen drei Punkten etwas ganz Anderes. Erstens hat die Zahl der Geflüchteten keineswegs ein Rekordniveau erreicht“ (S. 67; vgl. hierzu auch Kapitel 1).

„Zweitens gibt es keinen Hinweis auf eine langfristige Zunahme der Flüchtlingsmigration. Die Zahlen steigen und fallen vielmehr mit den Konflikten in den Herkunftsländern (S. 67).“ De Haas belegt dies an Beispielen von Jugoslawien über das Horn von Afrika, Kongo, die US-Invasionen in Afghanistan und Irak, Bürgerkriege in Syrien und Südsudan, zuletzt die russische Invasion in die Ukraine 2022.

„Auch die Behauptung, dass immer größere Scharen von Flüchtlingen ihr Heil im reichen Westen suchen, wird von den Daten widerlegt. Im Gegenteil, die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten bleibt in Nachbarländern“ (S.69). Auch diese plausible Annahme, dass man eher in der Nähe seiner Heimatregion und Kultur bleibt, belegt de Haas mit vielen Beispielen von Syrien bis zur Ukraine: „Rund 92 Prozent alle afrikanischen Flüchtlinge bleiben auf dem Kontinent“ (S 70).

„Auch für die Behauptung, der Anteil der „Scheinasylanten“ steige rasant an, gibt es keinen Beweis …, der Anteil der abgelehnten Anträge (ist) in den vergangenen Jahrzehnten bemerkenswert konstant geblieben. Im Jahr 2020 wurden in der EU rd. 521 000 gestellt, was einem Anteil von 0,12% der EU-Bevölkerung entspricht. Davon wurden 40,7% in einem ersten Verfahren positiv entschieden. Von diesen 212 000 wurde die Hälfte schließlich als Flüchtlinge anerkannt, ein Viertel erhielt subsidiären Schutzstatus. Die übrigen erhielten aus humanitären Gründen eine befristete Aufenthaltserlaubnis. 2020 erhielten insgesamt 281 000 Asylbewerber eine Aufenthaltserlaubnis – das entspricht 9,5% der 2 955 000 legalen Zuwanderer in die EU“ (S. 7) (Man vergleiche dies mit der Zahl der EU-Bevölkerung von über 400 Millionen! ).

„Langfristige Trends sind bemerkenswert stabil. Etwa die Hälfte der Antragsteller erhält Asyl.... Wäre die Zahl der „Scheinasylanten“ gestiegen, dann hätte der Anteil der Ablehnungen einen Sprung nach oben machen müssen. Doch die Zahlen zeigen, dass dies nicht der Fall ist“ (S. 72f.).

„Warum glauben wir dann, dass die Flüchtlingszahlen explodieren? Unter anderem, weil populistische Politiker und sensationsheischende Medien seit dem Fall der Berliner Mauer die Ausmaße der Flüchtlingsströme systematisch übertreiben“ (S. 73). De Haas beschreibt, dass die ständig wachsenden Flüchtlingszahlen des UN-Flüchtlingskommissars UNHCR bei genauerer Nachprüfung „der vermeintliche Anstieg der Statistik nichts anderes ist als ein Produkt der Statistik: früher wurden sehr viele Länder einfach nicht mitgezählt…. 1951… wurden die Daten von nur 21 Ländern erhoben. 76 im Jahr 1970, 147 im Jahr 1990, 211 im Jahr 2010 und 216 im Jahr 2018. Ein weiteres Problem ist, dass das UNHCR immer neue Kategorien von Geflüchteten in seine Statistiken aufnimmt. Vor allem zählt es heute auch die Binnenflüchtlinge, eine große Gruppe, zu der alle gehören, die vor bewaffneten Konflikten, Gewalt, Verfolgung oder Naturkatastrophen fliehen, ihr Land aber nicht verlassen“ (S. 75).

Mit Beispielen von Afghanistan, Äthiopien, Golfkrieg, Ruanda bis Syrien, Myanmar, Venezuela und Ukraine zeigt De Haas, dass „die Zahlen mit gewalttätigen Konflikten steigen und sinken“ (S. 75f.). „Dank Satellitenfernsehen, Internet und Handy erreichen uns heute mehr Bilder von Konflikten als jemals zuvor. Die größere Sichtbarkeit von Gewalt und Unterdrückung erweckt jedoch leicht den vollkommen falschen Eindruck, dass es an immer mehr Ecken der Welt brennt. Der Mythos der „Flüchtlingsinvasion“ wird nicht nur durch sensationsheischende Berichterstattung und politische Propaganda fabriziert, sondern auch durch unsere allzu pessimistische Wahrnehmung der Weltlage“ (S. 77). De Haas belegt an Beispielen aus den beiden Weltkriegen, dass damals – bei einer erheblich kleineren Weltbevölkerung viel mehr Menschen vertrieben wurden: durch den 2. Weltkrieg beispielsweise rund 175 Millionen Menschen (S. 78).

„Die Daten belegen, dass der Westen keineswegs von einer nie dagewesenen Flut von Geflüchteten heimgesucht wird und dass die Asylsysteme nicht überlastet sind. In den Nachkriegsjahrzehnten mussten westliche Nationen, vor allem in Europa, die Ankunft von deutlich mehr Flüchtlingen bewältigen. Die Zahl der Geflüchteten ist heute kaum höher als in der Vergangenheit. Die meisten bleiben in der Nähe ihrer Herkunftsländer. Die schwerste Bürde tragen ausgerechnet einige der ärmsten Länder dieser Erde“ (S. 80).

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu kriminell und gefährlich, wenn der größte Entwicklungsgeber, die USA, den UN – u.a. der WHO – die Gelder streicht. Ebenso fatal ist es, wenn die neue Bundesregierung unter dem unseriösen Hinweis und ohne jegliche Rechtgrundlage auf einen angeblichen Notstand das EU-Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention bricht und Asylsuchende rechtswidrig zurückweist sowie an dauerhaften Grenzkontrollen festhält. Ein Verhalten, dass gemeinsames europäisches Vorgehen verhindert, unsere Wirtschaft schädigt und deshalb nicht nur von der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf kritisiert wird.

Es gibt auch für die Asylbewerberinnen und -bewerber, die bei uns leben und die sog. subsidiär geschützten z.B. Syrer/innen und Ukrainer/innen, denen man nun den Familiennachzug jahrelang aussetzen will, aber auch für die dringend benötigen Experten aus Drittstaaten ein verheerendes Signal der Abschottung. Eine Abschottung, die sich unsere alternde Gesellschaft nicht leisten kann.

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