Von der Analyse zur Aktion gegen Rechts

Zum 20-jährigen lud Campact, die online-Plattform zur Verteidigung der Demokratie, zu einer Demokratie-Konferenz „Analysen.Allianzen.Aktionen“ nach Berlin. Es kamen viele bekannte Köpfe der „links-liberalen“ Szene und im Livestream tummelten sich weit über 1 000 Teilnehmerinnen.
Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz gab das Motto aus: Anstatt wie das Kaninchen auf die Schlange AfD zu starren, solle man lieber aus guten Beispielen lernen, z.B. wie in Spanien VOX oder in Polen PiS besiegt wurden: „Wenn wir uns kluge Gedanken machen, können wir etwas bewegen.“ Dazu diene die Konferenz: kluge Gedanken liefern und ins Handeln kommen.
Statt auf der Straße marschiert die SA heute im Netz
Am Anfang standen wichtige Impulse: die österreichische Journalistin Natascha Strobl warnte davor, von hate- oder shitstorms im Netz zu sprechen: es gehe nicht um verwirrte Hasser, sondern um gut organisierte Kombattanten in einem Krieg der Faschisten gegen die Demokratie. Und der Faschismus sei da: systematisch würden “Krieger“ im Netz auf Aktivisten angesetzt, von der Abtreibungsärztin bis zum Demokratieaktivisten im Osten würden Menschen bedroht, eingeschüchtert und – wenn möglich – vernichtet. „Der Faschismus ist längst da und außerhalb der Berliner bubble leben die Täter und die Opfer längst damit.“ Strobl forderte, wie ein ganzes späteres Panel, sich endlich stärker mit den Plattformen anzulegen, deren Geschäftsmodell auf dem Aufputschen von Emotionen beruhe.
Es folgte ein großartiger analytischer Aufriss von Matthias Quendt, langjähriger Rechtsextremismus-Experte und Prof. an der Hochschule Magdeburg-Stendal: Er beschrieb den Nährboden für die AfD beginnend mit jahrtausendealtem Patriarchalismus und Autoritarismus, Jahrhunderte währendem Antijudaismus, Kolonialismus und zuletzt Antisemitismus und Nationalismus. Als Reaktion auf Demokratie und Revolution kam die „konservative Revolution“ der 1920er, auf die sich auch die neue Rechte a la Kubitschek und Co bezieht. 1945 war eben keine „Stunde Null“, das rechte Syndrom blieb virulent wie z.B. eine SINUS-Studie 1981 zeigte. Und während im Westen die 68-er die Gesellschaft schrittweise liberalisierten, feierten Autoritarismus und Xenophobie unter dem Deckmantel des offiziellen Antifaschismus in der DDR fröhliche Urstände. Seit 1990 kam ein neuer, ausgrenzender Nationalismus und die Enttäuschung im Osten hinzu: aber die alternativlose Politik der Neoliberalen ließen Warnungen von Crouch („Postdemokratie“) oder Heitmeyer („Bürgerliche Rohheit“) verhallen.
Die Gegenbewegung zur Globalisierung kommt von rechts
Nach der Finanzkrise 2008 entstanden als Gegenbewegung zur ungebremsten Globalisierung rechte Bewegungen: in USA die Tea Party, in UK die Toryultras und bei uns seit Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ (2010) erst die AfD (2013) und dann Pegida (2014). Während SPD und Grüne soziale Fragen nicht mehr ansprachen, wurden diese von rechts ethnisch umetikettiert („alles für unsere Leute, nicht für Migranten“). Seit der Flüchtlingskrise 2015 delegitimierte sich Merkels Politik für viele, über soziale Medien gewann die Rechte an Kraft, steigende Ungleichheit trieb ihr Anhänger zu, das Bedürfnis nach Orientierung wurde durch deren klare Machthierarchien und binäre Logik gestillt („Wir und das gute Volk gegen die bösen Eliten da oben“). Der dominierende soziale Liberalismus blieb ohne echte Gleichheit: es blieb bei Patriarchalismus, Rassismus und Klassismus. Zentrale Frage aber wurde die Migration: Hier wurde der Klassenkampf auf der Fläche ausgetragen, mit den Ukraineflüchtlingen 2022 schwand die Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge, „Das Boot ist voll“ wurde auch zur Parole des bürgerlichen Mainstreams, alle hecheln hinter der AfD-Politik her.
Heute haben wir Arbeitsteilung: Weidel im Bundestag, der Mob im Netz, Westrechte und Ossis, Musk und Trump, alle sind zwei Seiten einer Medaille: es geht darum, andere auszuschließen von realen oder imaginierten Ansprüchen und Privilegien, die man bedroht sieht. Kern rechten Denkens ist ethnische, kulturelle oder leistungsbedingte Rechtfertigung von Ungleichheit. Real werden die meisten Vermögen vererbt und nicht erarbeitet und Migranten von der Job- bis zur Wohnungssuche benachteiligt. Aber gefühlt kennt jeder Migranten, „denen es hinten reingestopft wird, während wir schuften.“ Schließlich personalisiert Antisemitismus Feindbilder, erklärt mit Verschwörungstheorien die Welt und hat neben der Sündenbock- eine Orientierungsfunktion. Ihre Kraft beziehen die Rechten aus der enormen Kluft zwischen den liberalen Gleichheitsversprechen und der ungleichen Realität.
Wehrhafte Demokratie bewegt keine Emotionen
Was tun? Der jüdische Emigrant Karl Löwenstein entwickelte 1937 aus seiner Faschismusanalyse die Theorie der militanten Demokratie: Faschismus sei die effizienteste Technik der politischen Emotionalisierung. Demokratie könne das nicht, sei institutionell gebunden, langweilig usw. Deshalb müsse sie sich mit repressiven Mitteln wehren. Z.B. Polizei, Parteiverbote Dieses Konzept wurde als wehrhafte Demokratie nach 1945 bei uns Staatsräson. Aber weder Fakten noch Verbote stoppen rechte Wähler wie die ostdeutschen Wahlen gezeigt haben. Diese zeigten ein wachsendes rechtes Lager, dem alle Faschismusvorwürfe schnurz seien – und eine entpolitisierte Masse demokratischer Wählerinnen, die sich nur noch gegen rechts vereinten und immer größere Schnittmengen zum Gegner aufwiesen. So wählte die Mehrheit der Brandenburger „ihren“ Woidke“, „ihren „Kretschmer“ usw. Inhaltsleere Personalisierung rette die Demokratie nicht. Es brauche statt Antirechts- und Demokratierettungsaktionen, so Quendt, eine emotionalisierende Gegenbewegung. Nur wer die Träger diese Bewegung sein könnten, diese Antwort blieb er allerdings schuldig außer: das komme nicht aus den verbrauchten Parteien, sondern wenn überhaupt aus der Zivilgesellschaft.
Nazis holen Arbeiter und Mittelschicht bei ihren Sorgen ab
Im Panel „Wie Polarisierung der AfD hilft“ forderte Marcel Fratzscher, Ökonom und Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), man dürfe hierzulande nicht länger die Ungleichheit kleinreden: es gebe viele Menschen mit materiellen Ängsten und Sorgen, bis weit in die Mittelschicht. Der Industriesoziologe Klaus Dörre berichtete, die AfD habe die Arbeiter „erobert“: in Thüringen wählten 49% die AfD, 42% der gewerkschaftsgebundenen Beschäftigten. Die AfD setze die Agenden: So werde Transformation mit „Deindustrialisierung“ gleichgesetzt. Die Linke verliere die Deutungshoheit in den Betrieben. Natascha Strobl riet davon ab, Hardcore-Rechtswähler „bekehren“ zu wollen: es gälte, die jungen Problem- und Protestwähler zu gewinnen. Der Faschismus greife tief in die Mittelschicht mit ihren Sorgen um Bildung, Jobs, ungleiches Einkommen und Rente. Eine junge ostdeutsche Bauernfunktionärin klagte, als Linke auf dem Land sei man verloren: es gehe nicht mehr darum, ob sondern mit welchen Nazis man rede. So sei der Aufbau der erneuerbaren Energien zentral und bürgerfern erfolgt: Investoren verdienten, die Leute vor Ort hätten nichts davon.
Auf positiven Emotionen aufbauen tut not
Kommunikationsexperte Johannes Hillje forderte, den Rechten demokratische Emotionalisierung entgegen zu setzen. Kamala Harris zeige, wie man Unentschlossene mit Narrativen von „Hope and Joy“ gewinne. Eine solche Emotionalisierung müsse an den echten Ängsten und Nöten der Menschen ansetzen. Nach seinen Erhebungen verspürt die Mehrheit Angst, Empörung und Wut, die Linken Anspannung. Diese Emotionen würden von der Ampel null adressiert. Hillje verglich Trumps Kernbotschaft mit Scholz: Trump biete Orientierung und Hoffnung in sechs Wörtern: „Sie hat‘s versaut – ich wird‘s reparieren“. Ein Scholz-Zitat blieb dagegen lang, umständlich und völlig unverständlich. Heiterkeit im Saal. Das wichtigste Thema seit 2022 – Inflation (58%) - werde von SPD und Grünen dethematisiert, der Kampf gegen rechts (38%) aufgeblasen. Linke dürften Angst und Wut aber nicht den Rechten überlassen. Hillje schlug vor, die Wut auf diejenigen zu kanalisieren, die im „schnellen Denken“ bei der Mehrheit bereits negativ verankert seien: z.B. die Superreichen, die mit ihrem Lebensstil die Erde zerstören. Eine Multimillionärssteuer erhalte 80, 90% Zustimmung. Beim Thema Migration hechele die Ampel hinter Rechts her, statt den Item „Sterben im Mittelmeer ist eine Schande“ zu nutzen. Bei der Transformation würden Verlustängste ignoriert, aber keine guten Beispiele gegeben. Die visionäre Energie des Kanzlers wie der Ampel sei gleich Null. Riesenbeifall.
Die Linke hat vor lauter Identitätspolitik die soziale Frage vergessen
Viel zu tun hatte Moderator Maximilian Fries, Geschäftsführer der Webinar Reihe „Europe Calling, mit dem Panel „Fehler der Linken“: Die Linke habe schlicht die soziale Frage vernachlässigt, konstatierte CDU-Frau Liane Bednarz. Konservative fühlten sich von Gleichstellungsgesetzen überrannt, die Gleichsetzung von CDU und Nazis sei absurd, so durfte der Münsteraner OB nicht bei der Antifa-Demo im Januar reden, und die SPD diene sich – wie Teile der CDU – der Putintruppe BSW an. “Blätter-Redakteur“ Albrecht von Lucke fehlen von links die Emotionen, das Attackieren rechter Wähler als Müll“ sei fatal, Emotionalisierung sei ja ganz schön, aber bitte mit guten Argumenten. Die sehe er kaum. Es brauche Allianzen mit Konservativen statt mit schon Überzeugten. Und zuletzt verteidigten die Grünen und die CDU Europa und die Ukraine, nicht der Kanzler und seine SPD.
PoC-Aktivistin Emilia Roig meinte dagegen, die Linke sei nicht links genug gewesen, man dürfe den von interessierter Seite genährten Ängsten nicht nachgeben, was von Lucke ausrasten ließ („So ein Geschwurbel“), Roig antwortete auf gleicher Ebene („Was für eine Arroganz“), Fries schlichtete mühsam („das ist nicht der Stil, wie wir diskutieren wollen“), Beifall. Roig blieb dabei: das Verschwinden des Antikapitalismus verschärfe die Krise des real existierenden Kapitalismus. Johannes Hillje forderte ein Ende des Kulturkampfes („Da verlieren wir nur“) und wünschte sich emotionalisierende Politiker/innen. Maximilian Fries hielt fest: Links hat das Soziale vergessen.
Emotionen ernst nehmen, aber Zuversicht verbreiten
Stark das Schlussplädoyer von FFF-Aktivistin Luisa Neubauer: Sie gab zu, Fakten seien bestreitbar, aber die positiven Erfahrungen von den Aktionen und Demos auf der Straße blieben bestehen. 2025 sei das entscheidende Jahr, ob die Rechten die Dominanz errängen. In den USA gäbe es keinen Wahrheitsanspruch mehr, im Land der Brände und Hurricanes habe die Linke das Klima dethematisiert und niemand mehr eine Sprache dafür. Wir schauten zu viel nach USA, zu wenig, was wir hier tun könnten: Wir müssten die Menschen trainieren, die Muster der rechten Propaganda zu durchschauen. Es gehe darum, wer setze die Diskursregeln die Agenden, zurzeit würden überall Standards gesenkt und unangenehme Themen wie Klima schlicht ausgeblendet. Dabei sei Sprache wichtig, Räume schaffen, wo offen und neugierig gefragt und diskutiert werden könne. Raus aus den Nischen und ein Gesprächsklima schaffen Demokratie, Antirassismus, -semitismus, -arabismus usw. Es brauche radikale Zuversicht, die Lust anzupacken. Das setzte voraus, anzuerkennen, wie müde viele seien: Aktivisten wie „Normalos“. Trump anerkenne die Angst und Wut, viele Demokraten wollten diese bis heute nicht gelten lassen. Wir müssten thematisieren, dass die Flut oder hitze Familien trifft, Kinder, Alte, mehr. In Brasilien würden Klimastreiks wegen der Brände abgesagt, es gelte, die nächsten fünf Jahre zu nutzen. Danach würde Veränderung immer teurer und schwieriger.
Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz fasste neun Stunden in 20 Minuten zusammen: Gegen Rechts zu siegen sei komplex, ein AfD-Verbot zu einfach. Eine wehrhafte Demokratie müsse bedacht handeln: 1. Brauche es Allianzen wie in Frankreich und Polen, um an der Wahlurne zu besiegen. 2. Müsse wehrhafte Demokratie digital sein. Wolle man keine Generation verlieren, müsse man sich mit den Plattformen anlegen. 3. Brauche es progressive Narrative, statt hinter rechts herzuhecheln. Es gelte, an der Lebensrealität anzuknüpfen, mit Menschen reden, faktenbasiert, aber emotional, über Infrastruktur u.a. Schwächen, aber dabei selber „zu scheinen “. 4. Demokratie nicht kaputtsparen, warnte Bautz, Schuldenbremse reformieren, Multimillionärssteuer einführen. 5. Auf die Straße, die Demos Anfang 2024 hätten die AfD 5-6% gekostet. Weitermachen, beschwor Bautz den Saal. Beifall.